Zu allen Zeiten sind Menschen irgendwo auf der Welt gewandert. Es gab immer Völker- wanderungen oder Flüchtlingsbewegungen. Die Menschen flohen vor Kriegen und Hun- gersnöten, vor politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Not. Heute reden wir viel von den Afrikanern, die nach Europa kommen. Dabei übersehen wir, dass zur gleichen Zeit jedes Jahr viele Europäer und auch Deutsche in andere Länder auswandern, wo sie sich oft mit Geld, das hier weniger wert ist, dort ein schönes Leben machen wollen. Sie erwarten selbstverständlich, dass man sie (auch bei ihren zahlreichen Reisen ins Ausland) herzlich aufnimmt. Ähnlich selbstverständlich wollten ihre Vorfahren herzlich auf- genommen werden, als sie mit zweifelhaften Absichten in Afrika auftauchten: Vor der Ankunft der Europäer bestanden in Westafrika bedeutende Reiche wie Ghana, Mali und Songhai. Ab dem 15. Jahrhundert gründeten Portugiesen, Franzosen, Dänen und Briten Forts und Faktoreien entlang der Küste, um vor allem den lukrativen Skla- venhandel mit Nordamerika betreiben zu können. Westafrika hatte lange Zeit den Ruf als „Grab des weißen Mannes“. Tropenkrankheiten wie Malaria, Gelbfieber oder die Schlafkrankheit rafften im 18. Jahrhundert gut 25 bis 75 Prozent der Neuankommen- den Europäer im ersten Jahr dahin. Später waren es schätzungsweise immer noch gut 10 Prozent. Diese Krankheiten fanden hier durch die hohe Verbreitung von Malaria- mücken und Tsetsefliegen nahezu ideale Voraussetzungen. Hinzu kamen die schlechten hygienischen Bedingungen während der Regenzeit, welche zur Amöbenruhr führen konnten.
Als die ersten Deutschen im 17. Jahrhundert die Westküste Afrikas erreichen, sind die Goldminen im Innern des Landes noch unentdeckt. Doch die Weißen sind nicht auf der Suche nah dem Edelmetall, es entsteht ein Wettlauf um andere Schätze: Das weiße Gold Elfenbein und Sklaven. Am 1. Januar 1683 landen die Schiffe des Brandenburger Kurfürsten Friedrich Wilhelm an der Küste Afrikas. Die Eroberer betreten das heutige Ghana. Die Brandenburger Flotte besteht zwar nur aus 16 Schiffen, die holländische aus zehn mal so vielen, doch das schreckt den “Großen Kurfürsten” nicht. Auch er will, was andere europäische Monarchen bereits haben: Kolonien. Sie verheißen Macht und Reichtum sowie die an den Höfen so beliebten Schwarzafrikaner, die “Mohren”. Die Brandenburger kommen spät. Die Gewinn versprechenden Küstenstriche sind längst von anderen Nationen besetzt. Die Festung, die Friedrich Wilhelm bauen lässt, erhält den Namen “Groß-Friedrichsburg”. Zum Bau wird jeder Mauerstein, jeder Nagel, sogar das Holz über Tausende von Kilometern per Schiff transportiert. Diese werden zum Teil im brandenburgischen Havelberg gebaut und gelangen über die Elbe nach Übersee.
Die Weißen interessieren sich aber nicht für die Kultur des eroberten Landes. Es geht ihnen nur ums Geschäft, um den Sklaven-Export. Es gibt viele Staaten, die sich um die Ware Mensch streiten, deshalb sind die meisten Kanonen der Europäer seewärts gegen die Konkurrenz gerichtet. Die Weißen tauschen Alkohol und Gewehre, aber auch nahe- zu wertlose Dinge wie Stoffe und bunte Glasperlen gegen Sklaven ein. Diese verkaufen sie dann in Amerika gegen Zucker, Rum und Tabak- ein glänzendes Geschäft. In vier Jahrhunderten werden auf diese Weise rund 12 Millionen Menschen über den Atlantik verschleppt- eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der “zivilisierten” Länder.
1717 verkaufen die Brandenburger ihren Kolonialbesitz an die Holländer. “Für 7200 Dukaten und 12 Negerknaben”, wie es im Vertrag heißt. Das entspricht einem heutigen Gegenwert von etwa 280.000 Euro. Brandenburg-Preußens koloniales Abenteuer ist nach 34 Jahren beendet. Trotzdem wird Friedrich Wilhelm im Deutschen Reich spä- ter als kolonialer Ahnherr gefeiert.
Im 19. Jahrhundert blühen die Geschäfte in der Hansestadt Hamburg. Stolze Segler fahren von hier aus in die ganze Welt. Der Kaufmann Carl Woermann gründet im September 1837 eine Im- und Exportfirma. Durch den Handel mit Westafrika wird seine Familie zu den einflussreichsten Kaufleuten Deutschlands. Woermann errichtet Handelsnie- derlassungen in Westafrika und tauscht Waffen und Branntwein gegen Palmöl und Kautschuk.
Carls Sohn Adolph Woermann übernimmt das Geschäft und baut es aus. Auch er erwirbt gegen billige Waren aus Europa natürliche Reichtümer Afrikas. Ungewöhnlich für diese Zeit ist, dass ein Privatmann das Risiko des Westafrikahandels und der Übersee- fahrten eingeht. Wie sein Vater und schon der Große Kurfürst bedient auch Adolph Woermann die von den Europäern geschaffene Nachfrage nach Alkohol- eine Droge als Währung. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 ist die Nation geeint. Im Spiegelsaal von Versailles wird Wilhelm der Erste zum Deutschen Kaiser ausgerufen.
Wird Deutschland jetzt auch Kolonialmacht und schließt zu anderen Nationalstaaten auf? Besonders die Stahlindustrie hat ein nicht unwesentliches Interesse, denn Kolonien würden ein gutes Geschäft versprechen. Reichskanzler Bismarck hält jedoch nichts von solchen Abenteuern: “Ich will gar keine Kolonien. Die sind bloß zu Versorgungs-Posten gut.” Missionar Carl Hugo Hahn lässt sich davon nicht aufhalten. 1871, im Jahr der Reichsgründung, erreicht er ein Gebiet, das zuvor noch kein Weißer betreten hat: den Waterberg in Namibia, nördlich des heutigen Windhuk. Er ist von der Fruchtbarkeit des Landes überrascht. Sein Bericht führt zur Gründung einer Rheinischen Missionsstation am Waterberg. Der Bremer Händler Adolf Lüderitz erwirbt Land von dem Volksstamm der Nama. Bald gehört ihm ein Gebiet, das größer ist als das Deutsche Reich. Die Nama gehen dabei von anderen Maßeinheiten aus als die Deutschen, ein bewusster Betrug.
Lüderitz will an der sturmgepeitschten Bucht eine Stadt entstehen lassen, die seinen Namen trägt. Der Hafen in der Lüderitz-Bucht wird zur Anlaufstelle der Woermannlinie, die von dort aus eine regelmäßige Verbindung nach Kamerun aufbaut und damit den Palmöltransport sichert.
Doch Handel will geschützt sein. Um den inzwischen größten Privatreeder der Welt, Adolph Woermann, formiert sich in Hamburg eine einflussreiche Kolonialbewegung, die Druck auf den zögernden Kanzler ausübt. Sie fordert Reichsschutz für die Handels- posten in Übersee, so wie andere Staaten ihn den eigenen Kaufleuten geben. Die deut- sche Regierung soll den privat erworbenen Besitz der Händler und ihrer Geschäfte im Ausland schützen. In der Nähe von Hamburg wird heftig diskutiert: Auf Bismarcks Schloss Friedrichsruh kommt es zu direkten Gesprächen zwischen Woermann und dem Kanzler. Jede aufstrebende Nation brauche Kolonien, drängt Woermann Bismarck. Der Reeder argumentiert, dass Kolonien das Land mit dringend benötigten Rohstoffen ver- sorgen würden und einen Markt für deutsche Warenexporte schaffen. Außerdem könn- te verhindert werden, dass deutsche Auswanderer in ein “Konkurrenzland”, wie etwa Nordamerika, gehen, wenn es deutschen Siedlungsraum gäbe. Auf diese Weise blieben auch die tüchtigen jungen Arbeitskräfte im “eigenen Land”. Doch die anderen imperia- listischen Mächte haben die Welt längst aufgeteilt. Nord- und Südamerika sind weitge- hend unabhängig. Der Rest, weiße Flecken auf der Landkarte, sind Wüsten oder Urwäl- der. Die Einwohner gelten nur als kulturlose Wilde, denen man die “Segnungen der Zi-vilisation” bringen muss. Nach langen Gesprächen in Bismarcks Arbeitszimmer ändert der eiserne Kanzler seine Meinung. Doch woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Bismarck wollte sein eigenes politisches Überleben sichern, denn die Reichtagswahlen standen kurz bevor. Auch um die Wählerstimmen der Kolonialbegeisterten zu gewin- nen, lässt er die “Lüderitzbucht” an der namibischen Westküste durch Kaiser Wilhelm I. Unter Reichsschutz stellen. Das Kaiserreich ist zur Kolonialmacht geworden.
1884 kommen die ersten “Schutztruppler” nach Afrika. Bismarck vermeidet bewusst den Begriff Kolonien. Mit der Bezeichnung “Schutzgebiete” will er schönreden, dass er eigentlich Menschen aus ihrem Land vertreibt und ausbeutet.
Kurze Zeit später wird der Forscher Gustav Nachtigal zum Reichskommissar ernannt und bricht mit dem Kanonenboot “Möwe” nach Westafrika auf. Doch auch die Engländer sind schon unterwegs. Der Wettlauf beginnt: Wer als erster seine Fahne hisst, dem gehören Land und Menschen. Um den deutschen Handel zu sichern, stellt Nachtigal das Togogebiet unter kaiserlichen Schutz. Die nächste Annexion folgt keine zehn Tage später: Kamerun. Nur wenige Stunden vor den Engländern erreicht Nachtigal die Küste. Als der britische Konsul Hewitt eintrifft, wird die deutsche Herrschaft über Kamerun bereits gefeiert. Die englische Presse spottet über den “too late consul”. Wo- ermanns Agenten vor Ort haben für den Reichskommissar Nachtigal die Verträge schon vorbereitet. Mit dem Kriegsschiff im Rücken werden die Vereinbarungen durchgesetzt.
Auch im Pazifik hissen Kommandanten die Reichsflagge. Der deutsche Forschungsreis- ende Dr. Otto Finsch annektiert im Auftrag der Reichsregierung eine Inselgruppe vor Borneo, das “Bismarck Archipel”. Wenig später werden auch die weit im Pazifik gelegenen Marshall-Inseln in Besitz genommen. Dank der Kolonien und mit Bismarcks Hilfe steigt Hamburg zum größten Überseehafen Europas auf. Waren aus den Kolonien wer- den von hier aus ins ganze Reich verteilt. Kaffee, Bananen, Ananas und Orangen sind die Früchte einer neuen deutschen Warenwelt. Besonders für die Besitzer von Kolonial- warenläden bedeutet das einen gewaltigen Umsatz. Nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Rohstoffen wie Kautschuk machen die Überseekaufleute gute Geschäfte.
Die neue Auto- und Elektroindustrie floriert, deshalb entsteht in diesen Bereichen ein erhöhter Bedarf an Kautschuk. Die große Nachfrage nach dem Rohstoff verhilft Adolph Woermann zum Ausbau seines Reederei- und Handelsimperiums. Ein regelrechter Gummiboom wird ausgelöst.
In diesen Textpassagen wird sehr deutlich, dass die Europäer sich damals an den Reich- tümern Afrikas bereicherten. Bis heute bereichern sie sich hier. Die Offenheit, mit der Mamma Afrika die weißen Einwanderer begrüßte, wurde gründlich missbraucht. Heute müssen wir uns fragen, was hier angerichtet wurde und wie man die interkontinentale Politik und Wirtschaft so gestalten kann, dass die Ausbeutung aufhört und gerechte Chancen für alle entstehen. Nur so kann in Zukunft vermieden werden, dass die Migration überhand nimmt. Wir vom Rat Afrikanischer Christen in Berlin/ Brandenburg e.V.
(RACiBB) sind dankbar für die Arbeit von Horst Köhler und sein Engagement für mehr Gerechtigkeit für Afrika.
Quellen: ZDF Archiv 8. November 2005 (Texte);
Eine visuelle Interpretation von Fotos des Basel Mission Picture Archivs von Emmanuel Akyeampong
Im Namen von RACiBB (Rat Afrikanischer Christen in Berlin/ Brandenburg e.V) danke ich für die Einladung zu der Veranstaltung „Konferenz SOS- Flüchtlinge in Not! Das Sterben an den Grenzen stoppen“ und für Ihr Engagement für Flüchtlinge!
Pastor F.P. Arthur von der Gemeinde „Akebulan- Globale Mission e.V.“
(e: info@akebulan-gm.org; Web: www.akebulan-gm.org)